Links, idealistisch und vielleicht gerade pleite. Jonathan Burmeister, Anwalt in Berlin, über Höhen und Tiefen seines Berufes, ein Loch im Boden, durch das Terrorverdächtige pinkeln müssen und die Frage, was an unserem Straf- und Migrationsrecht nicht stimmt.
Ein Anwalt aus Berlin setzt sich für die ein, die sich eigentlich keinen Anwalt leisten können. Zwar sind Recht und Gerechtigkeit damit immer noch nicht deckungsgleich, aber hie und da nähert sich beides an.
Du lebst in Berlin und praktizierst als Anwalt. Was ist dein Fachgebiet?
Ich bin auf Straf- und Migrationsrecht spezialisiert. Eigentlich heißt es in Deutschland „Ausländerrecht“, und „Ausländerbehörde“ wird mit „Aliens department“ übersetzt. Aber ich ziehe ich die Begriffe „Migrationsrecht“ und „migration office“ vor.
Wie arbeitest du? Wie kommen deine Fälle zu dir?
Ich bin selbstständig und arbeite in einer Bürogemeinschaft von Anwälten. Viele Mandanten kommen über Empfehlungen zu mir, aus dem Büro, dem Bekanntenkreis oder von früheren Kunden. Am Anfang war das schwierig, weil ich niemanden in Berlin kannte, aber nach zwei Jahren klappte es.
Welche Art von Fällen vertrittst du?
So ziemlich alles, was kommt. Außer Nazis. Ich würde niemals Nazis verteidigen.
Kannst du uns Beispiele nennen?
Strafrecht ist grundsätzlich spannend und ungewöhnlich. Es gibt schreckliche Fälle, aber auch amüsante. Neulich saß ich die ganze Nacht in der Wohnung eines Dealers, den ich verteidigte. Bei der Durchsuchung wurden abwechselnd Geld und Drogen gefunden. Da konnte man ganz gut mitraten, wo das nächste Versteck sein könnte. Sowas lockert die Arbeit auf.

Du hast mit Migrationsrecht ein anspruchsvolles Feld gewählt.
Ausländerrecht ist das reguläre Migrationsrecht. Wenn jemand Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis hat, hier heiraten oder arbeiten möchte, das sind meine Mandanten. Sich in diesen Fällen mit der Ausländerbehörde auseinanderzusetzen, ist bereits so belastend, dass ich froh bin, dass ich nur zu 40% Ausländerrecht mache. Im reinen Asylrecht würde ich verzweifeln. Man kann sich nicht den ganzen Tag mit Themen beschäftigen, bei denen so viel Unrecht geschieht. Menschen werden gegebenenfalls in Kriegsgebiete zurück geschickt, weil diese als sicher gelten. Unter meinen Kollegen haben einige nach ein paar Jahren mit Burnout und Depressionen aufgehört.
Wie gehst du mit den schweren Fällen emotional um?
Letztes Jahr habe ich im Strafrecht jemanden vertreten, dessen Sohn auf einem Boot verbrannt ist. Die Mutter hat den Vater später angezeigt wegen fahrlässiger Tötung. Das war so schrecklich, wenn der bei mir im Büro war, dass ich mich erstmal eine halbe Stunde hinsetzen und aus dem Fenster gucken musste. Im Strafrecht ist das definitiv Teil des Jobs. Ich versuche zu mischen, so kann man alles besser verarbeiten. Die lustigen Fälle helfen. Ich habe momentan als Mandantin eine Domina, die von ihrem Ex-Sklaven verklagt wird. Er wirft ihr Körperverletzung und Diebstahl vor. Neben körperlicher Züchtigung, die sie teilweise als zu gefährlich abgelehnt hat, hat er sich explizit finanzielle Beherrschung gewünscht. Sie sollte seine Kreditkarten haben und ihm nur ein Taschengeld auszahlen. Jetzt beschwert er sich, dass sein Geld weg ist. Das Ganze war ein bezahltes, professionelles Domina-Sklaven-Verhältnis. Ich freue mich schon auf das Gesicht des Amtsrichters, wenn ich ihm den Fall darlegen kann.
Bei vielen Menschen besteht eine gewisse Barriere zu einem Anwalt zu gehen. Wie gehst du damit um?
Oft bekomme ich Anfragen, bei denen es zu spät ist. Wenn jemand zu mir kommt mit einem Schreiben zum Haftantritt, oder einem Räumungsbescheid mit verpasster Widerspruchsfrist, kann ich nichts mehr machen. Das ist dann eher ein trauriges Unterfangen. Ansonsten habe ich die Erfahrung nicht gemacht. Viele meiner Kunden kommen aus Komfort- und Servicegründen. Das Verrückte ist, in den Ausländerbehörden wird kaum Englisch gesprochen. Grade im Ausländerrecht würde ich mich auch mit keiner Behörde freiwillig auseinandersetzen, wenn ich das Geld für einen Anwalt hätte.
Hast du schon einmal Kunden abgelehnt oder eine Verteidigung abgebrochen?
Ja. Es gibt insbesondere im Strafrecht solche Fälle. Ich möchte nicht das Gefühl haben, auf der Seite des Falschen zu stehen. Es gab ein, zwei Gewaltdelikte, die ich nicht angenommen habe. Allerdings darf ich die Verteidigung nicht abbrechen, wenn das Gerichtsverfahren schon begonnen hat. Einmal hatte ich die Situation, dass ein Mandant mir gegenüber alles glaubhaft abgestritten hat. Vor Gericht hat er nach zehn Minuten alles gestanden. Den musste ich weiter verteidigen. Hätte ich das vorher gewusst, hätte ich abgelehnt.

Wie deckungsgleich sind Recht und Gerechtigkeit?
Wir leben in einer Gesellschaft, die sich mit Normen organisieren muss. Schön wäre, wenn man diese Normen als gerecht empfindet, aber das ist in meinem Bereich nicht der Fall. Das ist ein Widerspruch, in dem wir alle jeden Tag leben. Wenn ich in einer Einkaufsstraße einen AfD-Stand sehe, trete ich den um. Das ist sicherlich rechtswidrig und ich würde dafür bestraft werden. Trotzdem würde ich das machen. Recht und Gerechtigkeit können niemals deckungsgleich sein. Dazu gibt es eine viel zu unterschiedliche Population mit unterschiedlichen Erfahrungen, Werten und Interessen. Es kann immer nur eine Auswahl an Regeln geben.
Deine politische Einstellung ist links. Wie verhielt sich das in deinem Studium, ist das überhaupt ein Thema?
Mit linker Einstellung gehört man im Jurastudium in aller Regel zu einer Minderheit. Vielleicht muss man sich seine Freunde eher suchen. Das wäre mir aber nicht stark aufgefallen, denn ich war auf Uni Hamburg, einer liberalen Universität mit sehr vielen Studenten.
Was machen deine Studienkollegen heute?
Die meisten sind Anwälte, einige Richter geworden.
Was war dein Karriereplan?
Ich wollte eigentlich Richter werden. Das ist in Deutschland sehr schwer, man muss sehr gute Noten haben, insbesondere im zweiten Staatsexamen. Bei mir hätte das klappen können. Als es dann soweit war und ich meine Promotion abgeschlossen hatte, habe ich gemerkt, dass ich gar nicht Richter werden will.
Warum hast du deine Pläne geändert?
Nach dem Studium bin ich nach Berlin gegangen, habe ein Schild an eine Tür gehangen und habe gesagt: „Ich bin jetzt Anwalt“. Das ist in einem radikalen Maße Selbstbestimmung, ein bisschen Abenteuer, eine existentialistische Erfahrung, das selbst Klarkommen. Viele Linke sind Anwälte, und sind das glaube ich auch ganz gern, weil das vielleicht bedeutet, dass man damit dem System ein Stück weit entkommt. Man kann die Regeln selbst bestimmen: wie mit Mitarbeitern und Kollegen umgegangen wird, wie man sich kleidet, wie viel man arbeitet. Wobei man nicht die Wahl hat, ist Geld. Ich glaube nicht, dass linke Anwälte viel Geld verdienen.
Woran liegt das?
Meine Kunden sind Ausländer, Straftäter und Mieter – oft mit wenig Geld. Auf der anderen Seite kann ich mich im Spiegel angucken und sagen: Ich mache das aus einem bestimmten Grund und habe das selbst entschieden.
Wie häufig nimmst du Fälle umsonst an?
Das lässt sich so nicht sagen. Dass Leute nicht wissen, wie sie mich bezahlen sollen und vielleicht 50 Euro dabei haben, das passiert eigentlich jede Woche. Es wird dann nur ein Bruchteil der Gebühren gedeckt, das ist aber trotzdem okay, wenn ich mich dafür entscheide.

Denkst du, die Selbstständigkeit hätte in einer anderen Stadt als Berlin auch funktioniert?
Ja. Berlin zieht natürlich Leute aus aller Welt an. In Berlin gibt es eine besondere Regelung für Künstlervisa, die besagt, dass bei der Vergabe im Zweifel für den Künstler entschieden wird. Künstler werden dadurch stark gefördert. Solche Kunden betreue ich teilweise sehr günstig und habe viel Spaß dabei. Ich lerne interessante Leute kennen, und diese empfehlen mich weiter. Das hat für beide Seiten Vorteile.
Wie sehen typische Arbeitstage für dich aus?
Morgens frühstücke ich in Ruhe, bevor ich aus dem Haus gehe. Ich bin eigentlich nie vor zehn im Büro, nur bei Gerichtsverhandlungen. Die gibt es jede Woche, sie beginnen meist um neun. Abends bin ich bis mindestens halb acht im Büro. Danach koche ich eigentlich jeden Abend. Ich bin eher ein Spätaufsteher und Nachtmensch. Dafür habe ich die Flexibilität. Am Wochenende arbeite ich nur in Ausnahmefällen, das klappt meistens.
Was sagen Freunde und Familie zu deinem Beruf und dem damit verbundenen Leben?
Dadurch dass ich sehr spät aus dem Büro komme, haben viele den Eindruck, ich arbeite zuviel. Da ich aber weiß, dass dem nicht so ist, ist das in Ordnung. (lacht)
Du wohnst in einer großen WG. Wie läuft das Leben dort ab?
Wir sind zwölf Mitbewohner. Es gibt eine große Küche und zwei Bäder. Eingekauft wird gemeinsam für alle, außer Süßigkeiten und Alkohol. Man hat alle drei Wochen Einkaufsdienst und wir treffen uns alle zwei Wochen zur Besprechung. Insgesamt sind es ganz verschiedene Leute.
Wie sehen deine weiteren Pläne aus?
Ich werde auf alle Fälle bald jemanden einstellen müssen. Mein Arbeitsbereich gefällt mir aber sehr.
Was für eine Funktion wird die Person haben? Ein weiterer Anwalt?
Das wäre ein Rechtsanwaltsfachangestellter, der die Verwaltung machen kann. Das mache ich jetzt alleine. Ich habe diesen Weg bewusst gewählt, denn ich wollte alles lernen, um meine Selbständigkeit aufzuziehen. Nur sind die Kapazitäten bei mir nicht mehr da. Ich brauche jemanden, der sich um Buchhaltung und Korrespondenz kümmern kann.
Hast du Vorbilder in deinem Beruf?
Ich hatte hier in Berlin einen Ausbilder im Referendariat. Das ist ein ehrbarer Mensch, der ein ganz klassisches Berufsbild lebt – das hat nichts mit so einem schlitzohrigen Anwalt zu tun, der mit Tricks agiert oder sich etwas ausdenkt, sondern das ist jemand, auf dessen Wort du dich immer verlassen kannst. Der wird sich in jeder Hinsicht fair verhalten, auch seinen Gegnern gegenüber. Daran orientiere ich mich.
Du wärst fast in der Verteidigung von Beate Zschäpe gelandet….? Wie kam es dazu?
Die ersten zwei Jahre in Berlin waren richtig hart, ich wusste teilweise nicht, wovon ich im nächsten Monat leben soll. Also ging ich auf Jobsuche. Bei einer großen Berliner Strafrechtskanzlei wurde ich zum Gespräch eingeladen. Im Gespräch saß Frau Sturm, die damals noch nicht die Verteidigerin von Beate Zschäpe übernommen hatte. Zum Abschluss sagte ich, dass ich niemals Nazis vertreten würde. Daraufhin teilte man mir mit, dass Frau Sturm in Erwägung ziehe, die dritte Pflichtverteidigerin von Beate Zschäpe zu werden. Die Kanzlei versuchte mich noch zu überreden, aber das war eine sehr leichte Entscheidung für mich, den Job nicht anzunehmen.
Viele Leute haben das Bild, dass sowohl Rechte als auch Linke ein Problem mit der Presse haben. Ist das Verhältnis von Linken zur Presse angespannt?
Das ist mir nicht bekannt. Der Kampf um Pressefreiheit ist ein originär linker Kampf, der jetzt grade auch geführt wird, zum Beispiel in der Türkei, aber auch in Deutschland. Kürzlich wurde vor dem Verfassungsgericht durchgesetzt, dass der Deutsche Bundestag seine Lobbyliste veröffentlicht. Pressefreiheit ist unfassbar wichtig für eine Demokratie. Es gibt in Deutschland viele gute Presseorgane, zum Beispiel die öffentlich-rechtlichen Medien. Meiner Meinung nach sitzen da aufrechte und ehrliche Journalisten. Die Meinung teilen viele Linke. Auch aus beruflicher Sicht würde ich sagen, dass ein vernünftiger Anwalt die Presse braucht und mit ihr zusammenarbeiten will.

Du bist der Verteidiger eines Terrorverdächtigen. Wie ist dieser Fall zu dir gelangt?
Durch Zufall. Ich war Notdienstverteidiger und bekam den Anruf, dass ein Anwalt gebraucht würde.
Was ist ein Notdienstverteidiger?
Notdienste gibt es in allen größeren Städten, sie werden von den Strafverteidigervereinigungen organisiert. Dort anzurufen ist sicherlich das Beste, was man machen kann, wenn man keinen Strafverteidiger hat.
Zurück zu deinem Fall.
Ich habe den Mandanten als Erster besucht. Er hatte schon mehrere Stunden nach einem Anwalt gefragt und wurde ignoriert. Er wurde schlecht behandelt und es geht ihm jetzt auch sehr schlecht. Ich denke, dass er freigesprochen wird, aber selbst dann wird er abgeschoben. Dass er hier Terrorverdächtiger ist, reicht in seiner Heimat Marokko, um sofort in den Folterknast zu kommen.
Wenn du Erstbesuche vornimmst und schlechte Bedingungen vorfindest, kannst du etwas ausrichten?
In dem Terrorfall war das einer meiner Hauptjobs, darum zu kämpfen, dass der Typ nicht 24 Stunden lang in einer hell erleuchteten Zelle auf dem Fußboden liegt und durch eine Glasscheibe beobachtet wird. Der hatte nur eine Matratze und ein Loch im Fußboden, das als Toilette diente. Er durfte wochenlang die Zelle nicht verlassen. Da musste ich immer wieder sagen, dass das so nicht geht. Mittlerweile sind seine Haftbedingungen besser. Bei normalen Mandaten habe ich nicht den Eindruck, dass man den Leuten helfen kann. In Untersuchungshaft ist es übel, da kommt man vielleicht als Bodybuilder klar, im Normalfall aber nur schlecht. Knast ist eine ganz bittere Erfahrung. Man ist krassen Gewaltverhältnissen ausgesetzt, sowohl von den Häftlingen untereinander, als auch der Wärter.
Was würdest du am deutschen Rechtssystem ändern?
Generell gibt es einige Schieflagen, deshalb habe ich für jeden meiner drei Tätigkeitsbereiche jeweils eine Forderung: Im Mietrecht ist das die gesetzliche Regulierung von Mieten. Mieten müssen viel niedriger sein. Im Strafrecht bin ich für die Abschaffung des Betäubungsmittelstrafrechts. Drogen müssen legalisiert werden. Nur der Umstand, dass sie illegal sind, führt zu unfassbarer Kriminalität. Die Legalisierung führt nicht dazu, dass Leute sich mehr wegballern, das machen sie nämlich jetzt schon. Legalisierung kann vielmehr zu einer Aufklärung führen und zu einem bewussten Umgang oder auch Nicht-Umgang damit. Für das Migrationsrecht wäre es eine bahnbrechende Verbesserung, könnten Asylanträge im Ausland gestellt werden. In Botschaften. Das würde das Leid der Menschen lindern, die diese schrecklichen Fluchten durchmachen. Der einzige Umstand, der im Moment zu einem Asylantrag führen kann, ist eine illegale Einreise, und das ist nicht sinnvoll.
Vielen Dank für das Gespräch.
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