Arznei-Engpass hat gerade erst begonnen

Offene Tabletten. Der Wirkstoff rieselt heraus. Symbolbild für die Arzneitmittelabhaengigkeit von China und Indien.

Deutschland ist bei seiner Versorgung mit Arzneimitteln von China und Indien abhängig. Doch die aktuellen Engpässe sind selbstgemacht.

  • In Deutschland sind Arzneimittel knapp. Das Problem sind die Zahlungen der Krankenkassen.
  • Bei der Arzneimittelversorgung ist Deutschland von China und Indien abhängig.
  • Eine Geschichte für China.Table.

Die Grippesaison ist da. Wer Kinder hat, ist seit Wochen dabei, das Kochen von Hühnersuppe, den Job als Krankenpfleger und den eigentlichen Brotberuf unter einen Hut zu bringen. Das ist mitunter komplizierter und langwieriger als es sein müsste. Denn Fieber- und Schmerzsäfte für Kinder, die auf Paracetamol oder Ibuprofen basieren, sind knapp. Und das ist nicht der erste Engpass in diesem Jahr. Bereits im Frühjahr war Tamoxifen in Deutschland nur schwer zu bekommen. Ein Krebsmedikament zur Behandlung von Brustkrebs. (Mehr gibt zur Arzneimittelabhängigkeit gibt es hier, bei China.Table.)

Engpässe bei Arzneimittel gibt es regelmäßig

„Es geht nicht nur um die schiere Anzahl von Engpässen, sondern auch darum, was fehlt. Der Engpass bei Tamoxifen hat die Wahrnehmung geschärft. Weil zum ersten Mal dem öffentlichen Bewusstsein klargeworden ist, dass es bei einem selbstverständlichen Medikament keine Selbstverständlichkeit mehr gibt“, beschreibt Anna Steinbach im Gespräch mit Table Media die Situation. Sie ist die Pressesprecherin des Interessenverbandes Pro Generika.

Die Engpässe bei Arzneimittel seien keine Seltenheit mehr. Hintergrund ist, dass es für rund 81 Prozent der Präparate einen Festbetrag gibt. Dabei handelt es sich um einen Höchstsatz, der von der Krankenkasse für ein Medikament bezahlt wird. Für viele Produzenten sind diese Preise jedoch zu gering. „Wir sehen, dass bei vielen Arzneimitteln, wie Paracetamol-Fiebersaft, immer mehr Hersteller aus der Produktion ausgestiegen sind, da er bei den Erstattungspreisen einfach nicht mehr wirtschaftlich hergestellt werden kann“, erläutert Steinbach.

Wegen Höchstpreisen: Marktkonzentration in China und Indien

Diese Höchstpreise führen zu einer Marktkonzentration. Immer weniger Hersteller haben immer größere Marktanteile. Beim bereits erwähnten Fiebersaft habe sich im Mai 2022 der vorletzte Hersteller aus der Produktion zurückgezogen. Jetzt hänge alles an einem Produzenten. „Es ist kein Puffer mehr da. Wenn es zu Engpässen kommt, weil die Lieferketten unter Druck sind – weil es mal an Glas fehlt oder an Blisterpackungen – dann gibt es keine nennenswerte Zahl an Anbietern mehr, die das auffangen könnte. Wenn ein Hersteller mit einem riesigen Marktanteil ausfällt, können das die mit den kleinen Marktanteilen nicht mehr kompensieren“, führt Steinbach aus.

Immerhin ist Deutschland gut darin, Engpässe zu managen. Denn im Ausland gibt es diese Engpässe nicht. Weil Krankenkassen dort oft das dreifache für Medikamente bezahlen. Tamoxifen bezogen Patientinnen hierzulande aus dem Ausland. Der enorme Preisdruck einerseits und die wirtschaftlichen lukrativen Bedingungen in China und Indien andererseits haben zu einer massiven Abwanderung der Produktion geführt, wie Steinbach erklärt. „China und Indien haben in den vergangenen 15 Jahren viel dafür getan, um federführend bei der Herstellung von Wirkstoffen und Arznei-Vorprodukten zu werden. Diese Länder haben Bedingungen etabliert, unter denen europäische Hersteller schwer produzieren können. Vor allem bei Wirkstoffen, die wir in Europa in großen Mengen benötigen – beispielsweise Diabetesmittel oder Blutdrucksenker – haben sie sich unersetzbar gemacht.“

Deutschlands Arzneimittelabhängigkeit von China

Das Problem der Abhängigkeit gibt es in zwei Ausformungen. Für den Branchenverband vfa der forschenden Pharma-Unternehmen ist es zumindest nicht akut. Sie haben viele ihrer Produktionen in Europa. Sie exportieren mehr, als sie importieren. Bei Generika ist das etwas anderes. Sie machen zwar 80 Prozent der Versorgung aus, sind aber nur für sieben Prozent der Arzneimittelausgaben verantwortlich. Eine Statistik, die den Kostendruck deutlich macht. Zwei Drittel der benötigten Wirkstoffe kommen mittlerweile aus Asien (vor allem China und Indien).

Laut einer Studie von Pro-Generika wird nur jeder sechste Wirkstoff überhaupt noch in Europa produziert. Doch selbst in Asien ist die Zahl der Anbieter sehr klein. Für mehr als die Hälfte der untersuchten Wirkstoffe gibt es nur ein bis fünf Hersteller weltweit. So kam es beispielsweise im Jahr 2019 nach einem Unfall bei Schweißarbeiten zu einer Explosion bei Qilu Tianhe Pharmaceutical in Shandong. Das Unternehmen stellt unter anderem Piperacillin her. Ein Penicillin mit enorm breiten Anwendungsmöglichkeiten. Wenn es denn verfügbar ist. Denn 85 Prozent des weltweiten Bedarfs stammen aus China.

Abhängigkeit reduzieren, Lieferketten diversifizieren

Doch solche Probleme hat China nicht exklusiv. Im Jahr 2021 brannte es bei Tyche Industrie in Indien (Provinz Andra Pradesh). Hier entsteht mit Racecadotril ein Wirkstoff gegen Durchfall und mit Sertralin einer, der für Antidepressiva verwendet wird. „Das Problem ist nicht, dass die Wirkstoffe aus China und Indien kommen, sondern dass sie nur aus China und Indien kommen. Wir können die Abhängigkeit nicht reduzieren, aber wir können Lieferketten stärker diversifizieren“, fordert Steinbach.

Das Geschäft in und mit China ist komplexer geworden. Für die deutschen Autohersteller ist der größte Automarkt der Welt mittlerweile eine Falle, die zugeschnappt ist. Das liegt auch daran, dass die Marken aus der Volksrepublik einen ganz anderen Zugang zum Markt haben. Bislang spielten Gewinne eine untergeordnete Rolle. Das ändert sich jetzt. Auch deswegen wird der Ton rauer. Ein Zeichen dafür ist die Klage von Audi gegen Nio.

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